Oskar Roehler über seinen Film: “Jud Süss – Film ohne Gewissen” ist nicht nur ein ‚Human Drama’, er ist zugleich ein politischer Film, der die Mechanismen machtpolitischer Manipulation aufdeckt und ihre schrecklichen Folgen zeigt. Der Film erzählt die Geschichte des Hauptdarstellers Marian, der in die Mühlen der Manipulation von Joseph Goebbels gerät, der mit dem Film “Jud Süss” einen Vernichtungsfeldzug gegen die Juden lostreten will. Marian – erfolgsgetrieben und naiv – lässt sich auf ein Spiel ein, das viel zu groß für ihn ist und von dem er nicht ahnt, dass es ihm bald schon seine Lebensgrundlage nehmen wird. Viel zu spät begreift er, in was er hineingeraten ist – nämlich in ein Vehikel des Holocaust, das sein Gesicht trägt. SS-Soldaten, die später in Polen an Massenerschießungen von Juden beteiligt waren, bekamen den Film verordnet. Millionen Deutsche sahen ihn sich freiwillig im Kino an, über 20 Millionen in Europa. Nach der Herausbringung wird Marian Augenzeuge des Völkermords – und zerbricht an seiner moralischen Schuld. (…)
Foto: (c) Concorde Filmverleih
So ist sein Schicksal ein Drama von Aufstieg und Fall – eines Menschen und eines Systems. Eines Menschen, dem ein Entkommen aus diesem mörderischen System mit der Zwangsläufigkeit einer griechischen Tragödie nicht möglich war. Dieses Drama ist zudem ein Sittenbild, ein Ausschnitt künstlerischen Lebens im Dritten Reich – und zwar auf dem wichtigsten kulturpolitischen Sektor – dem Film. Denn über den Film und die Propaganda regierten die Nazis das Dritte Reich – und sie waren Meister darin. Goebbels, eine der Hauptfiguren des Films, war ein perfider Verführer, nicht ohne Charme – sonst hätte er nie diesen Erfolg gehabt. Und er war besessen. Es hätte übermenschliche Kräfte gekostet, sich seinem Einfluss zu entziehen. Und somit handelt der Film zugleich von der Erotik der Macht.
Bislang gab es keinen anderen Kinofilm über Macht, moralisches Gewissen, Künstlertum und Film im Dritten Reich als den vor 30 Jahren sehr erfolgreichen Mephisto.
Inhalt:
Berlin 1939. Der mittelmäßig erfolgreiche, aus Österreich stammende Schauspieler Ferdinand Marian bekommt direkt von Joseph Goebbels die Rolle des „Jud Süß“ in dem gleichnamigen NS-Propagandafilm angeboten. Die Regie soll Veit Harlan übernehmen. Eine einmalige Karrierechance für Marian. Hin- und hergerissen weigert er sich zunächst, vor allem wegen der Einwände seiner Frau Anna (Martina Gedeck) und seiner Befürchtung, danach auf jüdische Rollen festgelegt zu werden. Doch nachdem Minister Goebbels (Moritz Bleibtreu) immer stärkeren Druck auf ihn ausübt, willigt er ein. Marian versucht, sich und seiner Frau einzureden, er könne die Rolle so spielen, dass der Titel-Bösewicht zum Sympathieträger würde. Doch selbst diese fromme Absicht macht sich der Film geschickt zunutze – sie steigert am Ende sogar noch dessen Wirkung auf die Massen. Marians Verstrickung in die Folgen dieser genau geplanten filmischen Propagandawaffe ist nicht mehr aufzuhalten.
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Schon während der Dreharbeiten spitzt sich die Situation in seinem privaten Umfeld zu. Durch seine zunehmende Veränderung abgestoßen, entfremdet sich seine Frau von ihm.
Im Gartenhaus der Familie hat zudem ein früherer Kollege von Marian, der jüdische Schauspieler Adolf Wilhelm Deutscher (Heribert Sasse) Unterschlupf gefunden. Das Dienstmädchen Britta (Anna Unterberger) verrät dies ihrem Freund, dem SA-Mann Lutz (Robert Stadlober), der Deutscher verhaftet und deportieren lässt.
Marians persönliche Tragödie nimmt ihren Lauf. Der nationale und internationale Erfolg von JUD SÜSS, der bei der Festivalpremiere in Venedig auch einen italienischen Filmkritiker namens Michelangelo Antonioni begeistert, ist da nur ein kurzes, rauschhaftes Intermezzo. Zunehmend durchschaut der neue NS-Superstar die gesellschaftliche Wirkung seines Films und den verbrecherischen Charakter des Regimes, das seinen Freund Deutscher ins KZ steckt. Seine Alkoholexzesse und Seitensprünge sind verzweifelte Ablenkungsversuche – durch die er das Missfallen Goebbels’ erregt. Um ihn unter Kontrolle zu bringen, lässt der Minister Anna deportieren. Doch das beschleunigt Marians Niedergang nur noch, auch seine tschechische Geliebte Vlasta (Erika Maroszán) ist für ihn kein Halt. Vom größten Erfolgsfilm seines Lebens will er nichts mehr wissen.
Nach Kriegsende erlebt Marian, wie sich die anderen am Film beteiligten Künstler reinwaschen, allen voran Regisseur Veit Harlan (Justus von Dohnányi). Bei einem Sommerfest in München begegnet er dem KZ-Überlebenden Deutscher wieder, der ihm von Annas Tod berichtet. Als er auch noch mit ansehen muss, wie Vlasta mit einem US-Soldaten intim wird, bricht er zusammen. Er setzt sich ins Auto für eine Fahrt ohne Wiederkehr.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns eine eigene Meinung zu dem Film noch nicht machen können, werden allerdings in den kommenden Tagen noch eine Kritik veröffentlichen.
Kinostart: 23.09.2010